Die Geschichte eines Bluttrinkers

Kapitel 6

Illuminata


Wenn du denkst, es ist für immer, ist es vorbei.

Das wurde mir bewußt an jenem Tag, an dem Caelestina starb. Ich glaube, ihre volle Schönheit hatte sie erst im Tod erreicht. Als ich sie in der Eingangshalle das Schlosses aufgebahrt sah, ein Volk aus schwarzgekleideten, gramgebeuten Krähenmenschen um sie herlagernd, erfaßte mich eine niegekannte nekrophile Sehnsucht. Caelestina........... Ich stand nur da und alles um mich herum versank. Allein im Nichts mit diesem toten Körper, der auch im Leben bereits tot gewesen war.

Was fühlte ich? Fühlte ich? Lebte ich? Alles verloren und doch nie etwas zu verlieren gehabt. Fühlte sie? Noch? Hatte sie jemals? Und Armando.....? Auch im Nichts ist Raum für Gedanken. Gedanken an die Vergangenheit. Gedanken, die Manifestationen der Gefühle. Es gibt keinen Dualismus zwischen Verstand und Herz. Es ist alles eins......

Armando und ich und Caelestina und ich und die beiden Welten - eins! Selbst Dorian und Evalinda und ich und alles andere.

Ich fühlte, wie es langsam meinen Verstand zu sprengen begann. Mein Verstand? Haha..... verstehen? Nein, es kommt nicht darauf an, zu verstehen. Warum auch? Es gibt keine Gesetze mehr, es gibt keine Grenzen mehr, nicht einmal mehr die inneren. JangJang? - unnötig.... "Zeichnung eines besoffenen chinesischen Reisbauern". Es gibt nicht einmal mehr Kreisläufe... Kreise: wie lächerlich unzulänglich! HA! Auch Kugeln sind ein Witz und was ist mit der minus-ersten Dimension? Ich möchte die Rückseite einer Linie sehen. Und ich sah sie, ganz deutlich und ohne Medium. DIE REALITÄT IST OMNIDIMENSIONAL und noch eines mehr, das du dir nicht vorstellen kannst.

Mein Geist explodierte und zerbarst in Myriaden kleine Stücke, die sich am Himmel zu Sternen verwandelten und als Supernoven verglühten und so in Myriaden von Wünschen weiterexistierten. Wünsche wurden zu Wahrheit, die zum Lachen reizte, oder zu Illusionen, die in Schlaf mündeten.... und immer fort und fort. Nichts was ist, ist möglich oder unmöglich. Betet den hl. Aggregatszustand an. Ich höre ein Lachen und dann fand ich mich auf einem wüsten Plan inmitten eines wilden Gartens wieder. Hinter mir stand die grimme Silhouette einer alten Villa gegen den wolkenverhangenen Himmel ab. Ich betrat das fremde Haus durch eine schief in den Angeln hängende Tür, über der mir ein verzerrtes Gargylengesicht entgegenstierte, und folgte einem leisen, jedoch irren Lachen durch die düsteren Zimmerfluchten. Das gotische Mobiliar wirkte, verhüllt mit großen weißen Laken die teilweise von Motten zerfressen waren, um schrägen Licht des dunklen Winterabends seltsam belebt. Die Bücher in der Bibliothek lagen allesamt aufgeschlagen und wie Liebende ineinander verkeilt auf dem Fußboden verstreut. Das Wissen von Jahrhunderten breitete sich vor meinen Augen aus, doch ich watete achtlos hindurch, da auch seine Universalität nur einen Bruchteil des ganzen Geheimnisses darstellen konnte, und die Hälfte davon fußte auf Gesetzmäßigkeiten einer Realität, die ich so nicht mehr anerkennen wollte/durfte. Das irre Kichern flog vor mir her und ich verfolgte es im Eilschritt eine schmale, gewendelte Stiege hinauf, die mich schließlich in eine weites Dachbodenzimmer brachte. Hier roch es nach altem Holz, nach altem Staub und alten Spinnweben, und nicht zuletzt nach altem Tod. Erst nach einigen Augenblicken bemerkte ich die Reihe gläserner Sarkophage, die unter dem schrägen Dachfenster standen. Ich trat näher und erkannte, wer in ihnen lag: Dorian, Evalinde, meine Familie.......... die lebenden Abbilder der Toten, mit denen ich die Simulation meines eigenen Lebens geteilt hatte.

Herzlich willkommen, Madragora. Hallte es über den Dachboden, gefolgt von dem bekannten irren Gekicher, das sich, übergeleitet durch ein fürchterliches Gurgeln, in ein markerschütterndes, furchteinflößendes Gelächter auswuchs, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ, so daß mein herz ins Leere schlug.

Dies ist das Reich des Wahnsinns und der Erkenntnis. Dein Weg ist der Tod und das Leben ist deine Vorstellung. Das Ziel heißt ..., - Asche wehte mir ins Gesicht -, aber das weißt du ja schon. Die Stimme schwieg, um einem erneuten ungebärdigen Lachen Platz zu machen, das dann abrupt abbrach, und ich nur noch den Wind hören konnte, der um die Hausecken strich. Als ich zu den Särgen hinüberblickte, hatten sich die Gestalten meiner Mitmenschen in Skelette verwandelt, deren leere Augenhöhlen mich anzustarren schienen. Ich brach schuchzend zusammen, ohne wirklich Trauer zu empfinden. In Wahrheit war ich in diesem Moment sehr viel weniger verzweifelt als in den Jahren zuvor, und mein Schluchzen ging langsam in ein lachen über, das ebenso irre klang, wie das der körperlosen Stimme...


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  1. Egy vérivónak meséje
  2. Das Reich der schwarzen Sonne
  3. Das Licht an düsteren Winterabenden
  4. Xtc
  5. Abschied
  6. Illuminati
  7. Epilog