Die Geschichte eines Bluttrinkers

Kapitel 1

Egy vérivónak meséje

Prolog

Ich sehe aus dem Fenster, meine Blicke sind lang, starr, schwer, von einem unbestimmten Sehnen. Der Himmel ist grau mit Wolken verschleiert, Nebelschwaden ziehen ruhelos umher, die Sonne vermag das Dämmerlicht nicht zu erhellen. An den kahlen Ästen der Bäume und Sträucher, an den kniehohen Gräsern des ungepflegten Rasens klebt seit Tagen eine dicke Schicht Rauhreif. Wann wird es dunkel, wann bricht die Nacht herein? Ich liebe sie und gleichzeitig habe ich Furcht vor ihr. Denn ich weiß nicht, was geschehen wird - ob das eintreten wird, was ich mir von ganzem Herzen wünsche und was mich doch wiederum schreckt, mich leise frösteln läßt wie ein unvermittelter Hauch Zugluft. Wenn Düsternis über das Land fällt, wenn die Helle des quälend langen Tages verlischt..., ja dann, dann ist es möglicherweise so weit.


Armando

Als ich Armando zum ersten Mal begegnete, befand ich mich in einem dumpfen Zustand der Ablehnung gegenüber allen Einflüssen von außen. Die Welt war mir fremd, ich war eine Fremde in einer feindliche gesonnen Umgebung. Ich zog mich immer weiter ab von den gegebenen Formen und grenzte mich ab. Niemand schien meinen Wandel zu begreifen, doch in Wahrheit geht es jedem so, ganz tief im Innern, jeder kennt dieses nagende Gefühl des Fremdseins. Ich reagierte darauf mit Trotz, begann mich shocking anzuziehen. Doch schwarze Kleidung, dunkler Nagellack, Punkfrisur und dergleichen sind heute so alltäglich geworden, daß sich die Frage nach den Hintergründen schon längst erübrigt hat.

Armando. Ich wollte eben schildern, wie ich Armando kennenlernte. Nun, es war spät, sehr spät. Ich saß am Schreibtisch, gedankenverloren, ohne überhaupt an etwas Gedanken zu verschwenden, und kritzelte mit Kugelschreiber eines jener IHATEMYSELFANDIWANTTODIE auf das Buch, das ich zu lesen versucht hatte, und wieder einmal an der Beschränktheit meines Geistes gescheitert war. Aus den Boxen der Stereoanlage dröhnte Depressiva-Rock, der meiner augenblicklichen Stimmungslage am nächsten kam.

Eigentlich besaß ich alles, was dazu angetan ist, Zufriedenheit zu schaffen; ich war übersättigt und hungerte trotzdem nach Undefinierbarem.

Ich weiß nicht genau, was mich schließlich dazu veranlaßte, zu Bett zu gehen, da ich wußte, es würde Ewigkeiten dauern, bis ich endlich einschliefe. Ich lag im Dunkeln und lauschte dem Trommeln des Regens gegen die Fensterscheibe. Dieses Geräusch... hat etwas unheimlich hypnotisches, dem ich mich nicht zu entziehen vermag. Ich liebe es. Ich will es auf gar keinen Fall missen. Ich wünschte nur, es würde immerzu regnen.

Ich spürte, wie verkrampft mein Körper sich anfühlte. So angespannt ist es unmöglich tief und fest zu schlafen. Irgendwie mußte ich aber doch in einen dösenden Zustand versunken sein, denn ich kann mich beim besten Willen nicht erinnern, wie Armando hereingelangt war, noch wie er sich mir genähert hatte. Was ich weiß, ist allerdings, daß ich plötzlich die Berührung einer Hand registrierte und eine Stimme vernahm, die unendlich sanft wisperte: - Nein, nein, ich weiß,, du willst nicht sterben, nicht wirklich.

Wie ein schwebender Singsang legten sich die Worte bleischwer auf mein Gemüt und den Bruchteil einer Sekunde später verlor ich das Bewußtsein.

Über vierzehn Stunden später erwachte ich. Und ich erinnerte mich langsam wieder an diesen merkwürdigen in die gewohnte Eintönigkeit. Ich war verstört. War es wirklich gewesen, war es Teil eines Traumfetzens? Ich konnte es nicht sagen.

Ich stand auf, ging in die Küche, um mir etwas Eßbares zu holen. Dann zog ich mich an, Stiefel, Jacke, Regenschirm, verließ die Wohnung. Scheinbar ziellos wanderte ich durch die Straßen, nur um schließlich festzustellen, daß ich den Weg zu Dorians Wohnung eingeschlagen hatte. Dorian, den ich einem irrsinnig geliegt hatte. Dorian, der auch nach unserer Trennung einer der wenigen war, die ich in dieser gottderdammten Stadt kannte.

Ich betrat das trostlose Mietshaus, schleppte mich keuchend die fünf Stockwerke nach oben, stand schließlich vor der glatten Tür. Ich drückte den Klingelknopf, ein gedämpftes Summen drang an mein Ohr.

Ich wartete; es rührte sich nicht das Geringste. Also unternahm ich einen weiteren Versuch. Es rumpelte, das Tappen nackter Füße auf dem Boden, die Tür wurde entriegelt, ich blickte in Dorians verschlafenes Gesicht. Sein dunkelbraunes Haar stand ihm zerzaust vom Kopf ab. Er kniff die Augen zusammen, weil er kurzsicht ist und seine Brille anscheinend nicht gefunden hatte.

- O, du bist's, sage er nach einiger Zeit, bis er mich erkannte. Er klang nicht gerade begeistert mich zu sehen. - Was ist denn?
- Dorian..., begann ich und wußte mit einem Mal nicht mehr, was ich ihm eigentlich sagen wollte.
- Ja?
- Dorian, ich ... ich... es ist mir klar, daß du mich nicht... also..., stotterte ich und haßte mich schon für das erbärmliche Gewinsel. - Kann ich trotzdem mit dir reden?

Mir wurde, während wir uns gegenüberstanden, bewußt, ich konnte noch immer nicht von ihm lasen, es war mir unmöglich, unsere gemeinsame zeit zu vergessen. Er atmete hörbar aus. Seine Augen wichen meinen aus, saugten sich kurz am Türstock fest. - Komm rein, sagte er.

Ich betrat die Wohnung. Er hatte alles mögliche verändert, seit ich vor Zeiten das letzte Mal dort gewesen war. Die Wände gestrichen in pastelligem hellblau, lapislazuli. Die dunkelhölzerne Einrichtung, die mir gefallen hatte, ausgetauscht durch moderne Stahl- und Lederstücke, alles sehr auf Zeitgeist getrimmt, klare Linienführung, rational-ergonomisch durchstrukturiert. Alles genau so, wie ich es auf den Tod nicht ausstehen konnte.

- Du hast renoviert? Nett., log ich.

Dorian setzte seine Brille auf, die auf der Garderobe im Gang gelegen hatte. Wir setzten uns in die Küche, die vor Chrom und kobaltblauem Kunststoff nur so blitzte.

- Willst du was trinken? Frage er. - Kaffee vielleicht? Ich werde jetzte nämlich welchen machen.

Ich nickte.

Dorian warf die Espressomaschine an, ebenfalls eine der zahlreichen Neuanschaffungen. Es dauerte nicht lange, da standenzwei gleich aussende, weiße Porzellantassen mit dampfendem Inhalt vor uns.

- Also, was ist los? wollte Dorian wissen. - Bist du in Schwierigkeiten?
- Nun, antwortete ich. Ich dachte gerade, wie gut er doch aussah. - Im Prinzip ist eigentlich gar nichts.

Dorian schüttelte den Kopf. - Du willst doch wohl nicht sagen, daß du nur den weiten Weg von deiner Klitsche hergekommen bist, weil du Sehnsucht nach mir hattest?

Er lachte etwas in sich hinein. - Ich möchte dich daran erinnern, daß du es immerhin warst, die sich in unserer Beziehung eingeengt gefühlt hat! Ich habe dich damals geliebt, ich hätte alles für dich getan, aber du hast es nicht gewollt. Ich habe immer versucht, dir nah zu sein; leider bin ich nicht der gewesen, den du gesucht hast. Es tut mir wirklich leid, aber ich denke nicht, daß es an meinem Verhalten gescheitert ist. Ich liebe dich nicht mehr. Ich hab's damals lang genug versucht, nur jetzt ist es zu spät für uns.

Verachtung troff aus seinem Tonfall.

- Also bitte, sag mir endlich, was du von mir wünschst.
- Ich weiß nicht, erklärte ich, - ich ... ich bin so durcheinander. Ich wache auf und alles scheint so verdreht zu sein, jeden Tag aufs Neue ein bißchen mehr.
- Na hör mal! Du kommst mir auch verdreht vor! Was soll ich deiner Meinung nach jetzt tun? Was kann ich dafür, daß du mit deinem verkorksten Leben nicht zurecht kommst? Du hast es so gewollt, oder?
- Dorian, hör auf, mir das zu sagen... Ich weiß, wie schrecklich ich gewesen bin, und ich entschuldigen mich bei dir. Kannst du nicht wenigstens versuchen, mich zu verstehen, ein ganz klein wenig nur? Ich brauche jemanden, der mich versteht.

In diesem Moment nahm ich eine Bewegung in meinem Rücken wahr. Ich brach ab in meiner Rede und drehte mich um. Dort stand eine Frau, physisch so ziemlich das Gegenteil von mir. Auf eigentümliche Weise schön - wie eine Fee aus meinem Lieblingsmärchen.

- Ah! Dorian blickte erfreut auf. - Das ist Evalinde, meine Verlobte, stellte er sie mir vor.

Ich konnte meiner Verblüffung kaum Herr werden. - Ach?

Dorians Verlobte also. Das ging ja schnell.

Er war aufgestanden um ihr eine Tasse Kaffee zu servieren. Mir gegenüber hatte er es an derartigen Aufmerksamkeiten immer fehlen lassen. Aber das ist einer der Nachteile, wenn man seine Unabhängigkeit in allen kleinen Dingen des Alltags bewahren will. Manchmal habe ich es gehörig satt, stark und selbständig aufzutreten. Man muß zu viel kämpfen. Fatal, wenn gepaart mit ausgeprägtem Harmoniebedürfnis. Anderen, wie dieser Evalinde fiel dagegen alles regelrecht in den Schoß.

Irgendwie war ich verletzt. Ich wußte sehr wohl, daß ich keinen Grund zur Eifersucht hatte, daß es ungerecht und unberechtigt war, immer noch, nach allem, Ansprüche zu stellen, aber ich war neidisch auf die Art, wie er sein ganzes Leben so schnell nach unserer Liaison umorganisiert und neugestaltet hatte. Ihm schien das Zerbrechen unserer Beziehung weit weniger auszumachen als mir, ich schien ihm kein bißchen zu fehlen, und das machte mich rasend.

Ich verspürte den Wunsch, nun zu gehen. Ich fühlte mich übermäßig fehl am Platz, denn zwischen den beiden anderen bestand eine Nähe, die es zwischen mir und Dorian nie gegeben hatte. Ich fand es schade, doch wahrscheinlich hatte ich es unbewußt verhindert. Ich kam mit diesem Zwischenmenschlichen nicht klar.

- Ja, dann..., ich erhob mich. - Schönen Tag noch...

Mit übereiligen, fahrigen Bewegungen machte ich mich davon. Ich hatte diesen Abgang wohl viel zu unelegant gestaltet, um nicht gleicht phlegmatisch zu wirken. Einen Narren aus mir gemacht...

Das Treppenhaus rannte ich fast hinunter, fand mich danach im strömenden Regen auf einer der tristen Straßenzüge, die sich überall komischerweise gleichen, wieder. Ich spannte den Regenschirm auf und blieb einigen zeit einfach so vor mich hinstarrend stehen. Die Konturen meiner Umgebung verwischten hinter dem undurchdringlichen Schleier der unverdrossen fallenden Wassertropfen. Es hatte etwas surreales an sich, dieses verschwimmende Bild.

Ich setzte mich in Bewegung, ohne darauf zu achten wohin ich trat. Ich dachte, die ganze Welt hat sich mal wieder gegen mich verschworen, und gleichzeitig keimte die Idee in mir auf, mein verkorkstes Leben in Wort und auf Papier festzuhalten. Ich liebe es zu schreiben. Leider gehen mir jedesmal, wenn ich mich ernsthaft daran machen will, gute Themen und originelle Ideen ab. Ich habe keinen Humor, wirklich nicht. Jedenfalls nicht eben das, was man landläufig unter dem Begriff versteht.

Während sich so lose, unkoordinierte Satzfetzen, aus dem Zusammenhang gerissene Situationen durch meine Phantasie bewegten, beschleunigten sich meine Schritte, bekam meine ganze Haltung mehr Elan.

Aber dann ahnte ich voraus, wenn ich allein am Schreibtisch, vor einem gar jungfräulichen Blatt Papier säße, das Kugelschreiberende im Mund, dann würde ich keinen einzigen Absatz zu Wege bringen können. Ich würde am Ende aufgeben. Mein Leben war zu langweilig und monoton meine Tag, so daß sich bestimmt keiner dafür interessieren würde.

Die tragikomische Dichterin, der die Worte fehlen, verbrachte daraufhin den Rest des Tages in einem Kino, sich blödsinnige Filme ansehend.

Ich hatte wirklich keine Lust, nach Hause, in das trübselige Gefängnis der dünnen Wände meiner Wohnung zurückzukehren.

Nach Einbruch der Dunkelheit fuhr ich mit der U-Bahn zu der Kneipe, in der Dorian und ich früher abzuhängen pflegten. Aber irgendwie wollte ich dann doch nicht hineingehen, entschied mich stattdessen für eine dieser Gruft-Discos. Ich war schwarz angezogen, nicht gerade passend zum Ausgehen, aber immerhin passend genug.

Doch nach wie vor war ich einsam und allein. Ich zog mich in eine Ecke zurück, wo die kreisenden Lichtflecken, die die Discokugel reflektierte, selten hintrafen, ich machte mich mal wieder unsichtbar. Nachts sind alles Katzen grau.

Dann bekam ich unverhofft Gesellschaft von einem dieser Kerle, die sich allen Ernstes einbilden, sie seien Untote, und auch so herumlaufen. In dem Bewußtsein, daß allein das Dunkel mich schön macht, ließ ich mich auf ein Flirtgeplänkel ein. Es sollte mich die Leere vergessen machen, die ich innerlich verspürte. Allerdings nervte es bald. Der Kerl nervte, wurde langsam etwas zu aufdringlich für meinen Geschmack.

Ich beschloß zu gehen. Ich versuchte, den Typen abzuwimmeln, aber der wollte nicht lockerlassen, unter gar keinen Umständen.

- Nun hör schon auf!, vernahm ich plötzlich die Stimme eines aus dem Nichts aufgetauchten Anderen.

Was mir sofort an ihm auffiel, war der Tonfall seiner Worte. Irgendwie kam er mir vertraut vor und ich hatte das unbestimmte Gefühl, ich kenne diesen Mann. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, ihn vorher noch niemals gesehen zu haben, denn sein außergewöhnliches Gesicht hatte ich gewiß nicht vergessen.

Ich glaube, daß es sich schwierig gestalten würde, noch einmal ein Gesicht mit solch regelmäßigen Zügen zu finden. Zweifellos war es schön, dieses Gesicht, und doch kam es mir auf unklare Weise fremdartig vor, es wirkte durchscheinend wie das eines Todgeweihten und gleichzeitig glühten aus umschatteten Höhlen diese smaragdgrünen Augen, die so viel zu sagen schienen und so viel zu versprechen.

- Warum wollte ich?, wollte der andere Kerl wissen. Er hörte sich ungehalten an. - Laß mich gefälligst in Ruhe!

Der Bleiche schnellte mit einemmal vor, packte den Anderen, zischte: - Paß auf, tu tust genau das, was ich sage, verstanden?? Also laß das Mädchen, ok?

Ohne ein weiteres Wort abzuwarten, wandte der Bleiche sich um und seine Stimme war sanft und ruhig wie das Rascheln dürren Laubes im kühlen Herbstwind.

- Es tut mir leid, ich muß mich entschuldigen für das Verhalten meines Freundes.
- Schon in Ordnung..., entgegnete ich zögerlich. Alles war etwas verwirrend im Moment. Ich sehnte mich nach der Sicherheit meiner kleinen, unscheinbaren, khaotischen Wohnung.
- Darf ich Sie nach draußen geleiten? Frage er, als habe er meine Gedanken gelesen. Seine Wortwahl war ebeso wie sein Äußeres fremdartig. Niemand sprach mehr so.

Ich nickte und setzte mich verunsichert Richtung Ausgang in Bewegung. Ich spürte die Wärme der Körper, durch deren Phalanx ich mir einen Weg bahnte.

Auf dem Gehsteig, an der feuchten, kalten Nachtluft, im indirekten Schein einer eine Meter entfernten Straßenlampe, erschien mir die ganze Szenerie umso unwirklicher.

- Sie wissen nicht, in welcher Gefahr Sie sich in seiner Gesellschaft befunden haben, nicht wahr?, frage er. - O, er ist so exzentrisch. Es tut mir wirklich sehr leid.
- Das ... das haben Sie schon gesagt, bemerkte ich.
- Sie haben einen Akzent, stellte ich ziemlich zusammenhangslos fest. - Und eine eigenartige Ausdrucksweise. Wer sind sie?
- Verzeihung, ich vergaß vollkommen, mich vorzustellen. Mein Name ist Armando.
- Ah, macht ich, fasziniert sein ungemein interessantes Gesicht anstarrend. Diese grünen Augen, reflektierten das spärliche Licht wie die einer Katze.
- Ihre Augen... nie habe ich solche Augen gesehen ..., erklärte ich; wie hypnotisiert stand ich da vor ihm.

Und plötzlich kam mir ein Gedanke - nein, durchzuckte mich wie ein elektrischer Impuls, viel zu schnell, um seiner wahrhaft bewußte zu werden, und schon sprach ich ihn aus: - Sie... Sie sind kein Mensch! Noch der Andere dort drinnen!

Lächelnd streckte Armando seine Hand nach mir aus, strich mir über die Wange. Da wußte ich, ich hatte voll ins Schwarze getroffen. - Sie haben recht, ich bin kein menschliches Wesen.
- Aber was sind Sie dann?
- Ein Dämon, ein Gespenst, sagte er. - Ein Unsterblicher gefangen in der Unendlichkeit der Nacht. DEIN TEURES BLUT AUF MEINEN LIPPEN.
- ... ein Vampir...
- Ja, stimmte er mir zu. - Vampyr, Nosferatu, Vérszívo... nenne es, wie es dir beliebt.
- Und er, der Andere, er wollte mein Blut trinken?

Armando nickte. - Aber das wird er nicht, keine Sorge. Ich lasse nicht zu, daß du stirbst, Mandragora.
- Warum nennen Sie mich so?
- Dein Name in Finsternis. NOMEN TUUM IN TENEBRAS, sagte er. - Wohin wirst du jetzt gehen?
- Nach Hause...?, erwiderte ich unbestimmt, - wenn man bedenkt, daß ich gerade knapp dem Tod von der Schippe gesprungen bin, verständlich, oder?

Er lächelte und seine übergroßen Eckzähne blitzten im Neonlicht. - Ja. Ich werde dich aufsuchen, sowie die Dämmerung fällt und die Sonne verschwindet.

Er beugte sein pechschwarzes Lockenhaupt nach vorn und küßte mich mit einem kaum spürbaren Streifen seiner kalten Lippen an meiner Wange und dann verschwand er plötzlich im Nebel, ohne daß ich hätte erkennen können, wie.

Ich blieb zurück. Allein. Ich weiß nicht mehr, was ich dachte. Wahrscheinlich konzentrierte ich mich auf den nächsten Atemzug und später auf den nächsten Schritt, als ich auf dem Weg zu meiner Wohnung war.

Ich ging ins Bad, entledigte mich meiner verräucherten Kleidung, drehte den Wasserhahn auf und tauchte ein in ein undurchdringliches Rauschen und Perlen. Ich zog ein T-Shirt über und legt mich ins Bett. Ich erinnere mich nicht, noch sinnend wach gelegen zu haben - was eine Seltenheit bei mir ist.

Des nachts, wenn ich Erholung finden sollte, kommen mir stets all diese herrlichen Gedanken, die es Wert sind, für die Ewigkeit erhalten zu werden; doch will ich sie am Morgen dem Papier anvertrauen, lassen sie sich nicht fassen, entschlüpfen und entschwinden. So ist mein Kopf leer und ebenso das Papier. Es ist wirklich grotesk. Finden Sie nicht auch?

Doch in dieser Nacht war es anders. Kein Schatten eines grüblerischen Gedankens streifte mein Gemüt. Irgendwie fühlte ich mich geborgener als sonst; ich wußte, daß ich nicht allein war in der Nacht. Vielleicht war dies das erste Mal, da ich meine Paranoia vollkommen abgestreift hatte, denn paranoid war ich schon als Kind gewesen. Richtig paranoid, geistesgestört, meine ich. Oder bin ich normal und die anderen, alle, verrückt, Dorian, Evalinde und die ganzen Leute, sie alle irre? - Eine unheimliche Vorstellung, wenn Sie mich fragen.

Die Welt ein Vexierbild von lauter Geisteskranken, ein surreales Spiel von Licht und Schatten und ver-rückter Liniengebung? Und niemand, aber auch wirklich niemand, weiß, was er tut...

Armando hielt sein Versprechen. Am nächsten Abend, nach Sonnenuntergang, tauchte er gleich einem Phantom aus dem Nichts auf.

Ich hatte ihn am Fenster stehen, hinter den Gardinen halb verborgen, erwartet.


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  1. Egy vérivónak meséje
  2. Das Reich der schwarzen Sonne
  3. Das Licht an düsteren Winterabenden
  4. Xtc
  5. Abschied
  6. Illuminati
  7. Epilog