Die Geschichte eines Bluttrinkers

Kapitel 3

Das Licht an düsteren Winterabenden


Am Ende eines langen Marsches durch unheimliche Landstriche und wahrhaft verkehrte Welten, gerieten wir in einen Schneesturm, der ein Bergmassiv umtoste. Es war Winter hier und dunkel und bedrohlich. Armando jedoch führte mich zielstrebig auf ein zwischen dicht fallenden Flocken hindurchflackerndes Licht zu. Und plötzlich tauchte vor meinen Augen ein verzauberter Tannenbaum aus dem Obskuren des Schneewirbels auf. Er glitzerte und phosphoreszierte im Stockdunkeln, golden, silbern, und rote große Blutstropfen hingen an den Ästen. Winzige Trolle saßen dazwischen und betrachteten mich stumm und neugierig, während ich sie fasziniert, aber ohne Furcht, anstarrte. Armando hatte Recht gehabt, es gefiel mir immer besser in dieser geisterhaften Welt, die mir erschien, als sei sie ersonnen worden von einem Hirn, ebenso paranoid und versponnen wie meines es unzweifelhaft war.

- O, Armando, es ist wunderbar!, rief ich und streckte meine Finger nach einem der silberkörperigen Trolle aus. Dieser erklomm die Rückseite meiner Hand, so daß ich ihn hochheben konnte, um ihn im Widerschein des Leuchtens, das von den Goldfäden, welche um die Baumgestalt geschlungen waren, ausging, näher zu betrachten. Armando ließ mich mich sattsehen, dann nahm er mir den Troll aus der Hand.
- Komm, laß uns weitergehen. Du hast das Beste noch nicht gesehen....
- Ach, es gibt noch etwas zu entdecken?
- Ja, das gibt es.
Er lächelte mich an.

Wie wahr.......

Denn eine kurze Strecke des Weges voraus erkannte ich die Umrisse einer Stadtmauer. Es gab also eine Stadt in diesem phantastischen Reich! Sie war mittelalterlich angelegt, mit gemauerten Wachtürmen und geduckten Hexenhäuschen. Die Straßenzüge eng und verwinkelt, der Boden primitiv gepflastert, sofern er unter dem sehr hoch liegenden Schnee erkennbar war. Hinein gelangte man über eine Zugbrücke aus Mooreichenholzplanken, unter der ein Burggraben zu dunkelgrünem Smaragd mit gefrorenen Schaumkronen aus Diamant erstarrt war. Dann lag ein weiter Innenhof vor uns, dessen Zentrum ein verschnörkelter Springbrunnen bildete, dessen meterhohe Fontainen mitten im Perlen versteinert waren. In der Mitte der Eisstrahlen ruhte auf einem Marmorsockel ein rötliches Licht, das gedämpft die Fachwerkfassaden der hübschen Häuschen anleuchtete und den Sandstein funkeln und glitzern ließ, als bestünde er ebenfalls aus Eis.

Eines der Gebäude jedoch überragte alles andere, es handelte sich um den Pallas der Feste. Seine Front war großzügig gestaltet und mit, so schien es, filigranem Zuckerwerk verziert. Eiszapfen säumten die goldbedampften Fensterscheiben wie Vorhänge und das Geländer der Balkonbrüstung drohte selbige in die Tiefe stürzen zu lassen, solch eine Last von Ornamenten und Schnörkeln hatte es zu tragen. Sonderbar, was für eine Magie das alles auf mich ausübte. Ich fühlte, wie meine sterbliche Hülle immer leichter und leichter wurde, während meine unsterbliche Seele eintauchte in den Kosmos aus Unmöglichkeit.

Und dann erhellte sich plötzlich ein Fenster nach dem anderen und die ganze vereiste Stadt wurde dämmrig hell.

- Armando..., mit fragendem Blick drehte ich mich nach ihm um.
- Sie haben uns schon erwartet, erklärte er und lächelte wieder, so daß ich seine Fangzähne sehen konnte.
Seine Zähne, die er mir in den Hals geschlagen hatte, um mein Blut zu trinken.

Was denn?

Mit einem Schlag schwangen beide Flügel der Balkontür des Pallas auf und hartes weißes Licht flutete meinen geblendeten Augen entgegen.

Zunächst konnte ich nichts erkennen, doch schließlich machte ich mitten in dem gleißenden Schein einen Schatten aus, der die Gestalt einer Frau umriß. Endlich ebbte das grelle Strahlen ab und wohltuendes Halbdunkel trat erneut ein.

Die Frau, umgeben von einer flammenden Aura, stand in despotischer Haltung auf dem Balkon und blickte mich aus tief umschatteten Augen an, die ebenso wie die von Armando von jenem reinen Grün waren. Sie trug ein wunderschönes schwarzes Kleid, das sich fließend und faltenreich zu Boden ergoß. Ihr langes lockiges Haare wehte sacht in der Schneeluft. Offenbar war sie ein Wesen wie Armando, nein, viel mehr als nur das, sie war eine Königin unter den Ihrigen, unfaßbar schön ihr weißes Gesicht, unvorstellbar groß ihre Machte, Dinge zu tun, die sich niemand, der an die Logik glaubt, je träumen lassen könnte, eine Priesterin des heiligen Blutes, Hüterin von dunklen Gaben und Geheimnissen......

- Caelestina!

Armandos Stimme hinter mir, seine Hand, die meine Schulter berührte.

CAELESTINA - der einzig adäquate Name für die Vampirfürstin.

- Du hast sie also endlich hergebracht, Armando.
Ihr Stimme war Silber.
Ich liebte Caelestina. Und sie, schien sie mich nicht widerzulieben?

- Schließlich doch, antwortete Armando.
- Gut, ich habe schon solange auf dich warten müssen, Mandragora, sagte sie in ihrem hypnotisch-betörenden Tonfall.

Ihre Worte verwirrten mich, zugegebenermaßen. Warum wußte sie von mir?

Ich saß auf einem Hocker vor einem zierlichen Spiegelschrank aus Ebenholz mit Gold geschmückt und erblickte dort mein eigenes Gesicht. - Unmöglich! Ich habe meine Seele eingebüßt, als ich hierherkam, und damit meinen Schatten und mein Spiegelbild. Erstaunlich.

Caelestinas übersinnliches Antlitz tauchte hinter meinem auf der glatten Spiegeloberfläche auf und ich vernahm ihre süße Stimme: - Alles ist möglich, Alraune, hier wie dort, jenseits der schwarzen Sonne.
Hier jedoch etwas mehr als dort.
Deine sterbliche Seele hast du zwar verloren, aber du besitzt immer noch die unsterbliche Seite, verstehst du? Jeder von euch Menschen ist unsterblich in sich. Doch nur, wer die Erkenntnis dessen teilt, wird vollkommen unsterblich.

Ich nickte, obwohl mir der tiefere Sinn ihrer Rede im eigentlich Kern unverständlich blieb. Ich fühlte mich meiner selbst so entrückt, wie ich es zuvor meiner Umgebung gewesen war. Ich nahm mich nicht als mich selber wahr und es fühlte sich zutiefst unheimlich an.

Caelestina begann, mit einer Bürste durch meine Haare zu fahren; während sie mich frisierte, konnte ich nur mein menschliches, mein allzu menschliches Gesicht anschauen.

In meinem Ohr klangen Armandos Worte nach: - Vergiß, mein Liebling, vergiß dein Leben, und ich beschloß, es zu vergessen und Teil dieser einmaligen Absonderlichkeit zu werden.

Ich spürte, wie Caelestina mit eleganten, weichen Bewegungen um mich huschte, wie sie mich entkleidete und mich mit einer wohlriechenden Substanz besprühte, deren Inhalation mich in rauschartigen Schwindel versetzte, so daß ich wieder in einen Dämmerzustand abglitt. Am Rande nahm ich wahr, wie die Blutfürstin mir eine weißleinene Toga anzog und wie sie mir einen aus fremdartigen, wunderschönen Blüten geflochtenen Kranz aufsetzte. Sie umarmte mich, küßte meine Wangen, strich über meinen Kopf und drückte ich sanft zur Seite, da mein Hals frei und ungeschützt lag. Ich spürte, wie ihre Lippen sich an meine Haut legten, und ein leiser Schauer rieselte mir den Rücken hinab, als sie von meinem Blut nahm.

Ich war vereint mit der Königin Caelestina, wie zuvor mit meinem geliebten Armando. Wachheit kehrte in meinen Geist zurück, als Caelestina von mir trank, Wachheit, und eine euphorische Freudigkeit ergriff von mir Besitz, das vollendete Glücksgefühl.

Sie ließ von mir ab, fuhr mit dem Finger über die Bißstelle und die Wunde schloß sich augenblicklich. Sie ergriff meine Hand und wir traten hinaus auf den Balkon. Der Jubelschrei einer riesigen Menge von vampirischen Lebewesen erfüllte meine Ohren und ich blickte abertausend unsterblichen Gesichtern entgegen, die mich anlachten, und ein Konfettiregen ergoß sich auf mich. Ich schaute verblüfft zu Caelestina hin, die ihre Stimme erhob und vernehmlich ausrief: - Laßt und anfangen!

Das Fest nahm seinen Lauf. Es war bunt, es war laut von sich überschlagenden Stimmen und wunderbarer Musik und ich tanzte und tanzte immerzu ohne Müde zu werden. Im Gegenteil; und Vergangenheit und Zukunft verschmolzen zu einem wahrhaft greifbaren Jetzt, während der Sinnentaumel um mich weitertobte. Es war ein Gefühl von alles verloren und zugleich alles gewonnen und ich dachte nicht nach und ließ mich fortreiße mit der Woge unbezähmbarer Manie und wurde selbst Teil davon. Warum noch sterben wollen? Dies hier hatte mehr zu bieten als der Tod allein; dies hier w a r tot und dennoch lebendig. Alles untot! Eine untote Welt voll bizarrer Dinge und ich mitten drin. Mein Geist spannte sich weit aus und mein herz öffnete sich, als ginge eine Tür auf, die ich selbst verschlossen gehalten hatte aus Furcht vor meinem eigenen Sein. Aber nun stand sie offen und ich ging auf Wanderschaft durch die Parallelwelt, die sich mir zu Füßen legte. Man reichte mir Wein und ich streckte meinen Arm weit von mir aus, in die Richtung, wo Armando sich aufhielt. Auch er ergriff sein Glas und wir tranken uns zu über die Weite des Saales hinweg, schlugen eine Brücke zwischen zwei Zustandsformen von Sein und schlossen einen Bund, der für immer sein sollte.

Armando kam zu mir herüber, nahm mich beim Ellenbogen und führte mich zum Tanz.

Am Ende ließen wir uns auf einem Diwan nieder und lagen uns erschöpft in den Armen, während wir das orgiastische Treiben all der Lichtscheuen betrachteten. Armando nahm Blut von mir, aber so, daß ich es kaum merkte. - Dein Einzug ist triumphal verlaufen, sagt er. - Sie lieben dich alle sehr.
- Und du, liebst du mich auch?
- Ja, mein dunkler Engel. Ich liebe dich am meisten von allen, das vergiß nie. Ich bin du und du bist ich. Ich weiß, was du fühlst. --Aber nun schlaf mein, Engel, schlafe.....

Meine bleischweren Lider senkten sich über die Augen herab und ich verlor das Bewußtsein, oder wohl eher: das Unterbewußtsein.


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  1. Egy vérivónak meséje
  2. Das Reich der schwarzen Sonne
  3. Das Licht an düsteren Winterabenden
  4. Xtc
  5. Abschied
  6. Illuminati
  7. Epilog