Die Geschichte eines Bluttrinkers

Kapitel 4

Xtc


Ich erwachte und es war Tag in der realen Welt. Ich lag in meinem Bett und durch das offene Fenster flutete das gleißende Sonnenlicht eines der ersten warmen Frühlingstage herein. Es war zehn Uhr vormittags. Welcher Wochentag war heute? Es schien mir, als sei ich gar nicht lange fort gewesen, aber als ich auf die Datumsanzeige meiner Uhr blickte, überkam mich siedend heiß die Erkenntnis, daß zwei Wochen ins Land gezogen waren, seit Armando mich an jenem Abend aufgesucht hatte. Zwei Wochen! Die Zeit verging also dort, jenseits des Lebens, langsamer, oder lagen die Dinge so, daß es in der Parallelwelt keine Zeit gab? Nein, Raum und Zeit waren ausgeschaltet und keiner der wunderschönen Vampirwesen kümmerte sich darum, denn sie waren alle unsterblich. Doch hier ist es existent, das unaufhörliche Dahintropfen der Sekunden. Wie schrecklich, die Schlinge zieht sich enger, Klaustrophobia. Armando! Wo bist du? Du wirst mich doch nicht allein lassen? Mich all dies sehen lassen, um mich durch die Erinnerung daran zu quälen?

Von Panik erfaßt stand ich auf, fuhr hektisch in meine Pantoffeln, verlor den einen sogleich wieder, weiter zur Küche. Da - was war das da, auf dem Tisch?

Ich stürzte mich darauf, ein Brief, an mich gerichtet, von Armandos Hand, dazu eine dunkelrote Rose, allerdings nicht aus Rubinstein: - Mandragora, mein Engel, hüte das Geheimnis und warte auf mich, warte bis es dunkel wird.

In diesem Moment klingelte das Telefon. Ich bekam einen Todesschrecken, als mir urplötzlich das nervabtötende Geräusch der Klingel Mark und Bein durchdrang.

- Das Telefon, das Telefon..........
Ich nahm ab; eine Stimme am anderen Ende der Leitung - Dorian.
- Hallo?
- Ja?
- Wo bist du gewesen? Ich versuche seit Tagen, dich zu erreichen.
- Ach, wirklich?>

Ich hörte, wie teilnahmslos sich meine eigenen Stimme anhörte und konnte gar nichts daran ändern, abgesehen davon, daß ich das gar nicht wollte.

- Ja.
- Was willst du denn von mir? - Möchtest du vielleicht herkommen?
- Äh... ja, gut... wann?
- Jetzt.
- Jetzt?? - Ja... ja.... ich bin in zehn Minuten da.
- Schön.
- Tschüß, bis gleich.

Ich legte auf, ging ins Bad und begann, mich zu schminken, nachdem ich kurz unter die Dusche gehüpft war. Meine Augen umrandete ich mit dunklem Kajal und tuschte die Wimpern dick schwarz. Dann trug ich eine Schichte hellen Puders auf, der den letzten Überrest von rosiger Farbe aus meinem blassen Gesicht tilgte, um schließlich noch de Lippen leicht karmesinrot nachzumalen.

Mit meinem schulterlangen, nassen Blondhaar, fand ich, daß es sehr verrucht wirkte. Ich zog mir den bodenlangen, schwarzseidenen Morgenmantel an und da klingelte es auch schon an meiner Wohnungstür. Ich öffnete und bat Dorian herein, geflissentlich darüber hinwegsehen, mit welch pikiertem Blick er mein Erscheinungsbild bedachte.

- Setz dich, sagte ich, wobei ich mich selber in einer etwas lasziven Pose auf mein Zweisitzersofa gleiten ließ und ihn beobachte, wie er auf dem Sessel daneben Platz nahm. Sein Äußeres war, wie immer gepflegt und mit dem flotten Hemd sehr adrett. Sein Brillengestell blinkte im Sonnenlicht, das mühselig seinen Weg durch die ungeputzten Fensterscheiben fand. Irgendwie wirkte er fehl am Platz in meiner dem Khaos geweihten Wohnung. Und ich denke, das merkte er auch, denn nun begann er sich unter meinem ungeniert direkt auf ihn gerichteten Blick zu winden, indem er auf dem Sessel herumrutschte und dabei die Überdecke in Falten zog.
- Wie geht’s Evalinde? Erkundigte ich mich, ohne meine Augen von seinem Gesicht abzuwenden.
- Klasse, der geht es klasse, ja, doch..., antwortete er und ich konnte förmlich riechen, wie seine Verlegenheit wuchs.
- Kann ich dir vielleicht was anbieten?, sagte ich, stand auf, ging zu dem Schrank, wo ich meinen Alkohol bunkerte.

Ich begann, zwei Gläser einzuschenken, ohne seine Erwiderung abzuwarten. Ein Nein hätte ich ohnehin nicht akzeptiert. Ich hielt ihm sein Glas hin, ließ mich neben ihm auf die Armlehne des Sessels nieder und trank ihm zu, wobei ich das Glas auf einen Zug leerte. Dann sah ich zu, wie er sich zögerlich daran machte, es mir gleichzutun. Ich nahm ihm das ausgetrunkene Glas ab und stellte es neben meins auf den unter Zeitschriften begrabenen Tisch. Sein Blick traf meinen und ich saugte mich daran fest, brachte ihn dazu, wegzuschauen, bevor mein Mund auf seinem landete und ich ihn sehr intensiv küßte. Und er mich küßte. Wir schliefen natürlich miteinander, auf dem windigen, knarrenden Sofa in meiner kleinen, unaufgeräumten Wohnung, die er eigentlich verabscheuen mußte.

Sie werden sich fragen, warum ich das tat, gerade, nachdem ich mich in den Vampire verliebt hatte. Und noch mehr werden Sie sich darüber wundern, wie ich es schaffte, Dorian dazu zu bringen, seine süße Verlobte zu betrügen, und dazu noch ausgerechnet mit mir.

Schließlich bin nicht der Typ Frau, auf den die Männer gemeinhin fliegen, und außerdem war unsere frühere Beziehung mehr als enttäuschend verlaufen.

Und warum lies er sich eben jetzt auf mich ein, obwohl ich schon seit unserer Trennung alles dafür getan hätte, ihn wiederzubekommen?

Möglicherweise lag es daran, daß mir nunmehr nichts mehr daran lag. Ich liebte Armando, und zwar viel mehr, als ich Dorian jemals geliebt hatte. Für ihn empfand ich kaum noch etwas, und wenn, dann kann ich nicht einmal erklären, was überhaupt.

Ich denke auch nicht, daß er mich in irgend einer Weise liebte. Er war mir aber jetzt verfallen; oder auch nicht mir, denn das, was ich gewesen war, hatte seinen phänomenalen Abgang durch die Mitte genommen und sich in Mandragora, die Geliebte der Dämonen, verwandelt.

Und verführte einen Sterblichen - zu welchem Zweck? Auch das ein Rätsel.

Warum hinterging ich meinen über alles geliebten Armando schon in der ersten Stunde, da er mir den Rücken kehrte? Unverständlich.

Doch mein früheres Leben bedeutet nur noch Schall und Rauch. Es erfüllte mich mit Zufriedenheit, bewiesen zu haben, daß all das, was mich verstört hatte, mich nicht mehr berührte, ganz gleich, was passierte. Und die Phantome der Vergangenheit konnten mich nie wieder einholen. Denn ich wartete auf den Einbruch der Nacht und auf Rückkehr Armandos, der mich erneut in die wunderbare Gegenwelt, die voll mit herrlichen Wesen war, entführen würde.


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  1. Egy vérivónak meséje
  2. Das Reich der schwarzen Sonne
  3. Das Licht an düsteren Winterabenden
  4. Xtc
  5. Abschied
  6. Illuminati
  7. Epilog