Die Geschichte eines Bluttrinkers

Kapitel 2

Das Reich der schwarzen Sonne


Armando.

Er saß auf der Fensterbank, während der feuchtkalte Hauch einer weiteren Regennacht die Vorhänge in fließende Bewegung versetze. Sein Gesicht war so wunderschön, wie er mich mit diesen seltsamen Augen ansah. Seine geschwungenen Lippen stachen dunkelrot gegen die transluzente Fläche seines Gesichtes ab.

- Mandragora, sagte er.
- Ja?

Ich näherte mich ihm und er umschloß meine Wangen mit seinen eisigen Händen, was ich jedoch nicht als unangenehm empfand. Irgendwie ahnte ich, daß dies der Schritt war, an dem es keine Umkehr mehr geben konnte, aber trotz jenes Wissens sehnte ich mich danach, ihn zu tun. Und es geschah.

- Armando...? flüsterte ich heiser; ich hatte angst vor dem, was er jetzt tun würde, und doch erwartet ich den Augenblick, da es endlich so weit war.

Er murmelte geheimnisvolle Worte in einer Sprache, die es nicht gab. Die Worte betäubten mich und mir wurde schwarz vor Augen. Dann spürte ich, wie Armandos Fangzähne sich in meine Halsschlagader gruben und er sich von meinem Blut nährte. All mein Leben strömte der Bißstelle zu und mein pumpendes Herz schlug allmählich ins Leere. Ich dachte, nun mußt du sterben, aber ich befand mich gleichzeitig in einem Zustand himmelhochjauchzender Euphorie. Ich verlangte leidenschaftlich nach einem Fortdauern dessen, was mit mir passierte, obwohl es offensichtlich war, was am Ende stand. Es war Wahnsinn, es war so vollkommen, und plötzlich fühlte ich mich, als würde ich anfangen zu schweben, und schließlich verschwand ich in einem absolut verrückten Strudel aus gedämpften dunklen Farben und irrealen Bildern und Fatamorganas. Dieser Sog war unwiderstehlich. Armandos Arme gaben mich frei und schwarzes Licht umfing mich. Ich sah eine grün schildernde, durchsichtige Ansammlung von Plasma gen Himmel entschwinden und ich wußte, es war meine Seele, derer ich verlustig gegangen war in dem Moment, als ich Armandos Kuß erwidert hatte, seinen teuflischen Kuß, doch der Teufel existierte nicht. Und auch nicht Gott, noch sonst irgendetwas, denn die ganze Welt ist nur ein Trugbild, nicht existent und so weit weg von diesem anderen Ort, einem Ort, den man mit vielen Namen nennt: Anderswelt, Paradies, Nirwana... Er ist all jenes und doch kommt keine Bezeichnung oder Beschreibung seiner eigentlichen Unermeßlichkeit annäherungsweise gleich....

Ich erwachte scheinbar aus langem tiefem Schlummer und ich bemerkte, daß ich zwischen wild wuchernden Grashalmen auf einem weiten Feld lag. Der Himmel spannte sich trüb darüber hinweg und eine schwarz glühende Sonne tauchte die Szenerie in unwirkliches Licht. Kahle Bäume standen als knorrige Silhouetten gegen die seltsame Landschaft; der Wind klagte wie eine traurige Stimme und brachte die Gräser zum Rascheln - ansonsten herrschte eine sakrale Stille.

Hatte ich mich allein auf dem Feld gewähnt, so bemerkte ich plötzlich, daß Armando bei mir war. Er hüllte mich sorgsam in einen bodenlangen schwarzen Umhang, nahm sanft meine Hand und führte mich auf ein mir unbekanntes Ziel jenseits des Horizonts zu.

Weder er noch ich sprach ein Wort, als wir nebeneinander über das Feld hinwanderten. Er legte seinen Arm um mich, paßte seinen Schritt dem meinen an, der sich verlangsamte, als wir eine Hügelkuppe erklommen; ich war immer noch ein Mensch das wußte ich jetzt.

Hinter dem Hügel tat sich mir ein komplett anderer Typ von Gegend auf. Das düstere Moor ging in funkelndes Rot über, denn die Blumen, die zu Hauf auf den sich endlos ausdehnenden Wiesen in voller Blüte standen, bestanden aus kunstfertig geschliffenem Rubin. Wie Blutstropfen, im freien Fall zu Stein erstarrt, muteten sie an. Ein schwebender Klang lag in der Luft; eine Äolsharfe, deren Saiten von einer lauen Brise gezupft wurden. Zwischen hundert Tausendschönchen aus tiefrotem Edelstein bewegten sich elegant und geschmeidig phantastische Paradiesvögel. Sie ähnelten schwach Pfauen, doch übertrafen sie sie bei Weitem an Schönheit. Das Gefieder dieser Tiere bestand aus feinster violetter Seide, ihre Augen erinnerten an unendlich tiefes Wasser und bei alledem besaßen sie eine Anmut, wie die Erde sie noch nicht gesehen hat. Aber diese Vögel waren nicht die einzigen Lebewesen hier; es gab strahlend weiße Einhörner, farbenfrohe Faune, schillernde Fische in einem kleinen Bach, der bergauf floß und der dunkles Venenblut anstatt von Wasser führte. Um den Rubinstamm eines himmelhohen Baumes ringelte sich eine dreiköpfige Schlange, eine Ariel schwebte als diamantene Staubwolke am Himmel, an dem die Sterne der Nacht auch am Tage nicht verblaßt waren. Alles war so voll von jenen wunderlichen Kreaturen - selbst der Wiesengrund lebte! Abertausende kleiner, feingliedriger Organismen flohen vor unseren Schritten davon.

- Armando! Was ist das hier?, rief ich aus und meine Augen entdeckten mit jedem Wimpernschlag so viel mehr Unglaubliches, daß sie beinahe überflossen.
- Du hast nicht damit gerechnet, daß es so etwas wie das hier (er machte eine alles umfassende Geste) gibt, nicht wahr?, entgegnete er.

Dabei sprach er nicht meine Sprache, sondern jene sonderbare, die ich vorhin nicht hatte verstehen können - die Sprache dieser Gegenwelt. Aber nun erfaßte ich die Bedeutung der Wörter, als hätte ich sie gelernt, und antwortete auch in der fremden Sprache.

- Nein, wirklich nicht. Es ist schön und schrecklich zugleich.... schrecklich, erkennen zu müssen, daß alles was in meiner Welt gilt, all diese Gesetze und Regeln, hier außer Kraft gesetzt sind und nicht vielmehr bedeuten, als eine Hand voller Staub. Dieser ganze Mist, an den ich mich Zeit meines Lebens verzweifelt zu gewöhnen versucht habe, ist eben der Unsinn, für den ich ihn immer gehalten haben! - Aber sag mir, wie heißt dieser Ort?
- Es ist ein Ort ohne Namen; das Reich der schwarzen Sonne, wenn du so willst, sagte Armando.
Und fuhrt fort: - In der Tat, er ist anders als alles, was du kennst. Eine Parallelwelt, mit anderen Strukturen, die Kehrseite der Medaille. Also, vergiß, mein Liebling, vergiß dein Leben. Hier befinden wir uns in der Unendlichkeit.
- Die Menschen wissen nichts von der Existenz dieses Ortes. Warum zeigst du ihn dann mir?
- Mandragora, begann er, - weißt du, ich kenne dich schon lange, schon viel länger als du mich kennst. Natürlich hast du mich nie bemerkt. Aber, Mandragora, ich liebe dich und ich will, daß du all dies siehst, verstehst du? Du gehörst mehr hierher als in die jenseitige Welt. Du mußt das hier sehen; du sollst nicht mehr sterben wollen, nur weil du dich dort fremd fühlst. Es wird dir hier gefallen....

Und er nahm meine Hand und wir wanderten weiter unter der ungewöhnlichen Ausleuchtung der schwarzen Corona.


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  1. Egy vérivónak meséje
  2. Das Reich der schwarzen Sonne
  3. Das Licht an düsteren Winterabenden
  4. Xtc
  5. Abschied
  6. Illuminati
  7. Epilog