Urlaub auf Staatskosten
Das Leben im Knast

Viele nennen es wirklich Urlaub. Viele, die keine Ahnung haben. Man würde Verbrecher heutzutage zu wenig bestrafen, sagen sie. Und die haben es im Knast ja viel zu gut. Da rennen Typen in grünen Klamotten rum und stellen ihnen die Duschknöpfe ein. Sie brauchen keine Angst vor Arbeitslosigkeit zu haben, denn sie haben ja ihren Job und verdienen auch noch Geld damit. Immer ein Dach über dem Kopf, warmes Essen, genug Freizeitmöglichkeiten, viele nette Leute um sich herum. Perfektes Leben, oder? Sowas haben Verbrecher doch nicht verdient!

Ja, es stimmt, daß das Schauermärchen von den Justizvollzugsanstalten, das die Eltern ihren Kindern als Warnung erzählen, veraltet ist. Ein Häftling sitzt heutzutage in diesem Lande nicht mehr 24 Stunden am Tag nur mit einer Bibel in seiner Zelle und kriegt mittags Wasser und Brot reingeschoben. Das kommt vielleicht ab und zu noch in Bayern vor, aber im Normalfall sieht das Leben im Knast anders aus.

"Ein Gefängnis ist doch wie eine große Wohngemeinschaft." Wer das sagt, macht es sich leicht. Der stellt sich alles viel zu einfach vor.

In vielen deutschen Gefängnissen sind die Bedingungen nicht schlecht. Man darf seine Anlage und seinen Fernseher auf der Zelle haben, eine Stunde am Tag raus in den Hof gehen, täglich duschen und abends auch mal zu einem Freund auf Zelle gehen, wenn Umschluß ist. Es soll sogar extra eingerichtete Wichsräume geben. Man arbeitet als Maler, Lackierer, Handwerker oder sonstwas und kriegt dafür sein Geld angeschrieben. In der JVA Heinsberg ist einmal im Monat Einkaufstag. Da ziehen sie alle los. Da kann man sich dann Süßigkeiten kaufen und Zigaretten, Haarshampoo und Duschgel, und einen Tauchsieder gibt es für 15,99DM. Alkohol gibt es keinen. Um die Einkäufe wird gespielt. Die Schokoriegel wandern von Zelle zu Zelle, zu den besten Zockern. Wer nicht mitspielt, ist ein Loser. Und wer dann für die nächsten zwei Wochen keine Zigaretten mehr hat, hat eben Pech gehabt.

Manchmal kommen die Kerle in den grünen Klamotten und durchsuchen die Zelle nach Drogen. Dann räumen sie die Schränke aus und stellen alles auf den Kopf. Oft muß man auch abpissen gehen. Drogenkonsum wird hart bestraft. Strafe wird in Wochen und Monaten gerechnet. Strafe ist die Zeit, die man noch in Gefangenschaft verbringen muß.

Knochen sitzt in Lebenau wegen Drogen und wegen allem anderen, weshalb Punks immer sitzen. Er ist dort auf WG. Da hat er einen Schlüssel für seine Zelle und darf auf den Gang raus, wann er will und zu seinen Kameraden. Das ist ein schönes Leben, ja, und wenn es regnet, ist er froh. Denn wenn die Sonne scheint, muß er traurig sein, daß er nicht ins Freie darf. Er ist auch an ein paar Punk-CDs rangekommen, doch die kann er nicht hören, weil sein Zellennachbar ein Fascho ist. In Freiheit würden sie sich schlagen, im Knast müssen sie zusammenhalten. Doch sie reden nicht viel miteinander.

Knochen darf einmal im Monat nach draußen. Auch draußen darf er keinen Alkohol trinken. Er ist dann froh, daß er seine Eltern und seine Freunde für kurze Zeit sehen darf, doch er muß immer wieder zurück in das Gebäude mit den Gitterstäben vor den Fenstern. Und als er einmal zum Arzt mußte, haben sie ihn an Handschellen durch die Stadt geführt. Bei so etwas gucken die Leute. Da sagen die Eltern zu ihren Kindern: "Wenn du einmal so endest, dann bist du nicht mehr mein Kind!" Wenn man so durch die Stadt geführt wird, kommt man sich vor wie ein Mörder. Dabei hat man doch nur auf Demos ein bißchen randaliert.

Besucht werden dürfen die Häftlinge auch. Sascha, genannt Müll, der in Pforzheim inhaftiert ist, wartet vergeblich auf Besuch. Seine Eltern wollen nichts mehr mit ihm zu tun haben, und seine Freundin hat ihn verlassen. Die meisten sind verlassen worden. Auch Bernd, der traurig ist, weil er seinen kleinen Sohn nie wieder sehen darf.

Wenn ich Müll besuchen will, muß er einen Antrag schreiben. Dann muß ich einen Antrag schreiben. Dann kriege ich ein Schreiben zugeschickt, das ich ausfüllen muß. Dann müssen meine Eltern eine Einverständniserklärung unterschreiben. Dann wird es eine Konferenz geben. Dann muß ich erneut ein Schreiben ausfüllen. Dann muß ich in der JVA anrufen und alles abklären. Und dann darf ich Sascha eine Stunde lang sehen, im Beisein von zwei Beamten.

Viele Häftlinge haben Brieffreunde, um Kontakt zur Außenwelt zu halten. Das ist wichtig. Sonst vergißt man, wie das Leben da draußen ist. Die Briefe, die sie bekommen, sind immer wieder neue Lichtblicke, verbreiten Hoffnung. Einen Brief in den Händen zu halten ist für sie ein Augenblick, in dem sie glücklich sein können. Solche Augenblicke gibt es nicht oft für sie. Die Briefe, die sie erhalten, sind geöffnet, und sie wissen, daß das alles schon von einem Beamten gelesen wurde.

Für Körperverletzung bekommt man eigentlich nicht viel. So ist das halt. Wer dem Staat nur ein paar Mark klaut, kann damit rechnen, sein halbes Leben in Gefangenschaft zu verbringen. Wer jemanden krankenhausreif geschlagen hat, muß keine große Strafe erwarten. Eric hat für Körperverletzung trotzdem zweieinhalb Jahre gekriegt. Weil er bei seiner Verhandlung gelacht hat. Im Gericht darf man nicht lachen, auch wenn die Situation noch so absurd ist, das ist nicht witzig. Und vor allem darf man dem Richter seine Meinung nicht sagen, und einem Polizisten auch nicht.

Im Knast muß es ja schon irgendwie toll sein. Das merkt man daran, daß so viele wieder kommen. Wenn einer entlassen wird, steht er oft schon Wochen danach wieder da. Es herrscht ein Kommen und Gehen. Es ist ein ewiger Teufelskreis.

Jaja, im Knast hat man ein schönes Leben und so viele Freunde. Manche haben Glück. Die haben ein oder zwei Leute um sich, die sie schon von früher kennen, mit denen sie reden können. Aber viele können mit niemandem reden. Vor allem nicht über Gefühle. Denn über Gefühle redet man als ganzer Mann ja nicht, auch wenn man vor Trauer und Wut täglich überquillt, wenn man die Gedanken nicht mehr erträgt, die einem Minute für Minute im Kopf herumschwirren, wenn man fast am Verzweifeln und Durchdrehen ist, weil man dieses Leben in Gefangenschaft einfach nicht mehr ertragen kann. Man spielt immer allen den Größten vor. Alle tragen sie eine Maske, keiner gibt jemals klein bei. Man ist doch stark. Man gibt sich als der harte Kerl, und nachts weint man dann vor Verzweiflung in sein Kissen. Denn von allen Seiten wird man unterdrückt. Man darf keine Fragen stellen, nie aufmucken. Man muß immer tun, was einem gesagt wird. Meinungsfreiheit herrscht hier keine.

Es bleiben nur die Träume. Die Träume, an die man sich gewöhnt, weil sie den einzigen Lebensinhalt bilden. Es ist die Hoffnung, die sie weiterträgt. Die Hoffnung auf den baldigen Entlassungstag.

Lars wurde entlassen. Überglücklich war er. Weil er wieder frei war, weil er endlich wieder Frauen um sich herum haben konnte. Er hatte Schwierigkeiten, weil er nicht mehr wußte, wie man mit Frauen umgeht, wie man sie anspricht. Das alles verlernt man mit den Jahren. Er verschaffte sich einen Job, zwei DM auf die Stunde, kümmerte sich um einen Therapieplatz, kam in ein Methadon-Programm, um von seiner Drogensucht loszukommen. Er lebte legal. Und nach vier Wochen Freiheit haben sie ihn wieder abgeholt, wegen einem Verbrechen, das er vor zwei Jahren begangen hat. Im Gefängnis bekommt er keinen Therapieplatz. 400 Gefangene wollen eine Therapie machen, und es gibt nur zwei Drogenberater! Verstehen die denn nicht, daß sie alles nur noch schlimmer machen? Lars weiß nicht, was er tun soll. Er kommt sich vom ganzen Leben verarscht vor. Jetzt hat er mal was richtig gemacht, hat sich um etwas wirklich gekümmert, und jetzt wird er auch noch dafür bestraft. Er liegt alleine auf Zelle, hat keinen Kamm und keine Seife. Er weiß nicht, wohin mit all den Gedanken, die er hat. Er denkt zu viel. Er hält es nicht aus. Er schreibt Gedichte. Er hat mir eines geschickt, auf der Rückseite von einem Entlassungsantrag. Denn er hat nur noch ein Blatt Papier, und er muß noch an seine Mutter schreiben. Sie weiß noch nicht, daß er wieder im Knast ist. Sie wird enttäuscht und traurig sein. "Ich geb die Hoffnung auf, ohne Chance auf einen Beweisakt" schreibt er, "verletzlich und wehrlos ohne Chance auf Flucht aus dem Teufelskreis. Ich machte alles richtig, und doch war es falsch. Ich weiß, ich werde für meine Taten bestraft. Doch alles, was ich will, ist eine Chance!" Sie wollen alle eine Chance, doch die wenigsten bekommen sie. Die Beamten können die Gefühle der Gefangenen nicht verstehen.

"Die Verbrecher müssen härter bestraft werden", sagen die Leute. Sie wissen nicht Bescheid. Sie haben keine Ahnung, was für eine Strafe alleine die Gedanken sind, die den Häftlingen im Kopf herumgeistern. Sie haben keine Ahnung, wie schlimm das Leben im Knast wirklich ist.

Sie alle warten auf den Entlassungstag. Er ist das Licht am Ende des dunklen Tunnels. Sie warten darauf, vor das große Tor zu treten, frei zu sein. Denn erst dann hat das Leben wieder einen Sinn. Alle warten sie darauf, zählen die Tage, versuchen, ihre Gedanken bis zu diesem Zeitpunkt im Zaum zu halten. Sie wollen dann alles besser machen. Sie wollen sich ändern. Doch sie wissen, daß sie wahrscheinlich nicht lange in Freiheit bleiben werden. Sie warten voller Sehnsucht. Doch sie haben auch Angst davor. Denn was wird passieren, wenn sie wieder frei sind? Was für eine Chance hat denn jemand, der Urlaub auf Staatskosten gemacht hat?