Der demokratische Tag
- eine utopische Erzählung

Was? Schon wieder morgen? Gott sei Punk! Ich versuche, mir den Schlaf aus dem Kopf zu schütteln. Dieses Gefühl der Erleichterung, weil man feststellt, dass es doch nur ein Traum war. Ein schrecklicher Traum. Sie schlugen meine beste Freundin Becky zusammen. Faschisten. (Entschuldigt, dass ich das Unwort des Jahres verwende!) Sie spielten Bordsteintreten mit ihr. So sagte man doch dazu, wenn sie mit ihren Springerstiefeln Köpfe gegen Bordsteine traten? Sagte man so? Ich will nicht daran denken. Grauenvolle Bilder in meinem Kopf. Noch immer. Becky ist schwarz, eine schwarze Deutsche. Das Schwarz steht ihr, sie ist hübsch. Weiß mag ich sie mir gar nicht vorstellen. Ich werde diese Bilder nicht los. Heute passiert so etwas glücklicherweise nicht mehr. Unvorstellbar.

PIEP PIEP PIEP! Der Radiowecker spricht zu mir. "Es ist sechs Uhr. Die Nachrichten. Die Kapazitäten der Bundeswehr werden gekürzt und die Wehrpflicht nach und nach abgeschafft. Der Volksentscheid vom letzten Donnerstag ergab, dass 78 % der in Deutschland lebenden Bürger eine Kürzung der Bundeswehrkapazitäten befürworten."

Ja! Ich richte mich auf und springe eine Runde auf meinem Bett. Dabei jubele ich ein bisschen, aber ganz leise, weil meine Eltern noch schlafen. Dann schalte ich das Licht an und beginne, mich anzuziehen.

"Bundeskanzlerin Susanne Kejewski nimmt heute am Kongress gegen die Folter in türkischen Gefängnissen in Ankara teil..."

Ich drücke auf den Knopf, der das Radio verstummen lässt und schlurfe in Richtung Bad, wo ich mir erst die Zähne putze, um dann rote Ringe unter meine Augen zu malen und meine grünen Haare zu verwuscheln. Mit Eyeliner male ich ein an meine Eltern gerichtetes "Morgähn!" auf den Spiegel und lege vorsorglich Wattepads zum Wegwischen darunter.

Glücklich hüpfe ich die Treppenstufen hinunter, hole die Zeitung herein und setze Teewasser auf. Kaum habe ich meine Schultasche gepackt, höre ich, wie meine Eltern aus ihrem Schlafzimmer kommen.

"Die Kürzungen sind durch!" rufe ich gut gelaunt nach oben.

"Klasse!" tönt es wenige Meter über mir. "Vergiss nicht, dass heute wieder ´ne Wahl ist!"

"Wie könnte ich das vergessen? Und wehe euch, wenn ihr nicht für die Schließung des Atomkraftwerks stimmt! Ich weiß noch nicht, wann ich heute nach Hause komme..."

"Schon klar, die Demo. Viel Spaß! Bis dann..."

Ich stelle meinen Eltern die Teekanne auf den Tisch, werfe mir die Lederjacke über die Schultern, schnappe mir die Tasche und verlasse das Haus.

Auf dem Weg zur Haltestelle bemerke ich, dass sie wieder neue Plakate aufgehängt haben. "Hoch die internationale Solidarität!" prangt von allen Wänden, Bäumen und Stromkästen. Eine schwarze Hand in einer weißen. Könnten Becky und ich sein.

Die letzten Meter renne ich. Bin mal wieder spät dran. Und die Straßenbahnen sind oft überfüllt, seit sie verstaatlicht wurden und man kein Beförderungsgeld mehr zahlen muss. Aber den Stehplatz nehme ich gerne in Kauf, dafür dass auf den Autobahnen nun nahezu gähnende Leere herrscht. Auf der Weltklimakonferenz stellten sie fest, dass das Projekt eindeutig Erfolge zeigt.

Vor der Schule sitzt schon Becky und ruft mir ein fröhliches "Morgen aber auch!" zu, um sich daraufhin wieder zu Thomas umzudrehen und ihr Gespräch mit ihm fortzusetzen. Thomas ist auf der Sonderschule, die sich an unser Schulgebäude anschließt. Becky und ich besuchen etwas, das man Förderschule nennt. Eine Förderschule für Hochbegabte. Sie wurde für diejenigen eingerichtet, die sich auf dem Gymnasium zu Tode langweilten und darum den Lehrern ständig widersprachen und ihnen auf der Nase herumtanzten, so wie ich eine war. Auf unserer Schule jetzt ist alles anders. Man lehrt uns Psychologie und Philosophie, außerdem stehen Literatur und Politik auf dem Stundenplan. Der Unterricht basiert auf Diskussionen und Selbstarbeit. Endlich werden wir mal sowohl gefördert als auch gefordert.

Die Sonderschule nebenan könnte man ebenfalls als "Förderschule" bezeichnen. Jugendliche, die Probleme mit Mathematik und Deutsch haben, haben dort die Möglichkeit, ihre Qualitäten zu entdecken und zu entwickeln. Egal, ob diese nun beim Handwerk oder der Musik liegen. Sie werden ernst genommen und bekommen die Chance, die sie vorher auf keiner Schule bekamen.

Man mag meinen, die Sonderschüler und die Förderschüler würden sich untereinander nicht verstehen, doch das Gegenteil ist der Fall.

Ich klopfe Thomas auf die Schulter: "Hey, alles klar?"

"Na, das mit der Bundeswehr ist durch. Ist doch wohl ein Grund, den ganzen Tag zu feiern, oder? A propos: Wollt ihr am Wochenende zu der Party in unserer Straße kommen? Wir veranstalten mit unseren Nachbarn zusammen so ´ne Art Open-Air-Konzert gegen Krieg in aller Welt."

(...nie vollendet worden, da das Schreiben zu weh tat...)