Der Jungle vom Spielplatz

Ich ging ganz entspannt die Straße entlang, auf dem Weg zu einem Freund.
Ich traf einige Leute die ich kannte und redete jeweils kurz mit ihnen.
Nichts besonderes, halt das Übliche.
Sich kurz nach dem Wohlbefinden eines Freundes zu erkundigen gehört mittlerweile schon zum Guten Ton.
Gott sei Dank hatten alle keine Zeit zum Reden und das wollte auch keiner.
Auch ich hatte an diesem schönen Sommertag überhaupt keine Lust mich mit irgendwem zu unterhalten, warum weiß ich nicht.
So ging ich also weiter und auf dem Weg kam ich auch an einem kleinen Spielplatz vorbei.
Auf diesem Spielplatz sah ich einen Jungen, der ungefähr in meinem Alter war.
Er hörte mit einem großen Ghettoblaster Musik, hatte eine Zigarette in der einen Hand und eine Bierflasche in der anderen.
Irgendwie gefiel mir der Junge.
Nicht wie du denkst, sondern vom Aussehen her.
Ich ging also zu ihm, setzte mich neben ihn und fragte ihn, ob ich ein Bier aus seinem ganzen Kasten bekommen könnte.
Er sah mich an, grüßte und gab mir eines.
Wir stießen an und ich fragte ihn, warum er hier so ganz alleine saß.
Seine Antwort war kurz und knapp - "um mich volllaufen zu lassen und um ungestört zu rauchen".

Er sagte mir, dass er bei sich zu Hause weder Alkohol trinken darf, noch darf er rauchen und er darf auch nicht die Musik hören, die er will, ohne, dass sein Vater durchdreht und ihn wieder verprügelt.
Ich fragte ihn, wie alt er sei und er meinte, dass er 17 sei.
"Warum darfst du zu Hause nicht rauchen, mit 17?"
Er schaute mich fragend an.
Sein Blick verriet mir, dass er sich fragte, ob er mir das erzählen könnte und ob er mir vertrauen könnte.
Er sagte, dass seine Mutter Kettenraucher gewesen sei.
"Sie ist vor 2 Jahren an Lungenkrebs gestorben. Deswegen mag mein Vater und auch meine übrigen Verwandten nicht, dass ich zu Hause rauche. Aus diesem Grund bin ich fast täglich hier um heimlich zu rauchen. Wenn ich dabei erwischt werden würde, dann würde das mächtigen Ärger von meinem Vater geben."
Er erzählte mir, dass sein Vater alkoholäbhängig ist und ziemlich leicht ausflippt, wenn irgendetwas nicht nach seiner Nase läuft.
Sein Sohn darf nur die Musik hören, die er will, dass er hört und auch nur in der Lautstärke, die ihn nicht beim Saufen stört.
"Da ist es das Beste, wenn man die Musik gleich ausmacht bzw. auslässt", erklärte mir der Junge, von dem ich immer noch keinen Namen wusste.
Und ich sollte auch nie einen Namen erfahren.
"Du bist der erste, dem ich das alles erzähle."
Wir unterhielten uns über Gott und die Welt.
Es waren 2 Stunden vergangen, seitdem ich hier mit ihm plauderte und Bier trank.
Dass ich zu einem Freund gehen wollte, habe ich total vergessen.
In diesem Moment habe ich auch nicht mehr an einen Freund gedacht, denn es schien mir wichtiger mich hier mit einem Jungen zu unterhalten, der niemanden hat, mit dem er reden könnte.
Er erzählte mir aus seinem Alltag.
"Vormittags gehe ich zur Schule, wenn ich denn mal gehe, Mittags kaufe ich mir irgendwo was zum Essen, denn ich kann nicht nach Hause zum Essen, da mein Vater Mittags schon komplett besoffen ist, Nachmittags gehe ich 4 mal pro Woche jobben, um mir mein Geld zu verdienen. Abends komm ich dann irgendwann nach Hause und meist verprügelt mich mein Vater dann, weil er Lust dazu hat. Es ist ihm scheiß egal, ob ich überhaupt nach Hause komme oder was mit mir passiert. Bloß wenn ich zu Hause bin, dann bin ich für ihn wie ein Sandsack."
Wir saßen noch weitere 5 Stunden dort, unterhielten uns und tranken den Kasten Bier leer.
Danach trennten wir uns.
Er meinte, dass er nun nach Hause gehe.
Wenn ihm sein Vater wieder etwas antun wollte, dann würde er sich wehren.
Das hatte er mir versprochen.
Ich habe ihm auch gesagt, dass er jederzeit zu mir kommen kann, wenn er Probleme hätte.

Dann ging er.
Ich schaute ihm noch so lange nach, bis ich ihn nicht mehr sehen konnte und dann ging ich auch nach Hause.

Am nächsten Tag war ich wieder bei dem Spielplatz, doch er war nicht dort.
Ich ging jeden Tag hin, doch ich habe ihn nie wieder gesehen.
Ich weiß noch nicht mal seinen Namen, geschweige denn wo er wohnt.
Eigentlich schade, denn ich hatte das Gefühl, dass wir uns gut verstanden haben.