Gedanken einer Rose

(O. am 8.11.2001 - Für alle die, die so sehr auf Oberflächlichkeiten stehen)

Der sieht immer so nett aus, dachte die Rose, und er ist auch immer nett zu mir. Hat mich gegossen, mir meine trockenen Blätter und Zweige abgezupft, die mir so viel Kraft raubten - Kraft, die ich brauchte, um für ihn zu wachsen.

Er hat mir Schutz vor den Unbillen des Wetters gegeben. Ich werde ewig hier bleiben und für ihn da sein, dachte die Rose. Auch all meinen Freunden, die hier mit mir stehen hat er geholfen schön zu werden, doch ich bin perfekt.

Für ihn bin ich perfekt geworden, dachte die Rose, denn da waren keine trockenen Blätter mehr, keine Triebe, die nicht in die richtige Richtung wuchsen.
Kein einziges Blatt ihrer perfekten Blüte hatte auch nur ein Makel.

Sie liebte Ihn, so wie sie wußte, daß auch er sie liebte, denn sie liebte seine Worte, die er sprach, wenn er sich über sie beugte, ihre Schönheit zu betrachten.

Und Sie wußte, daß sie ihn liebte, und sie wußte auch, daß er sie liebte, denn sie war perfekt, eine perfekte Rose, und sie würde ewig bei ihm bleiben.

Jetzt steht er wieder vor mir und schaut mich an, betrachtet mich nachdenklich wie immer, dachte die Rose und rief mit ihrem stummen Schrei:
"Ich liebe dich! Ich werde immer für dich da sein! Für dich bin ich perfekt geworden!"
Denn dies rief sie immer, wenn er in ihrer Nähe war.

Hatte er es endlich gehört? Er kam noch näher heran. Sie rief wiederum: "Ich liebe dich!" und begann mit ihren Blättern und Zweigen zu winken - viel zu langsam, als daß er es hätte sehen können. Nur ihre Freunde konnten es sehen.

Er berührte sie mit seiner warmen Hand. Es ist schön berührt zu werden dachte die Rose und rief: "Ich liebe dich!" und schmiegte sich an ihn - viel zu sanft, als daß er es hätte spüren können. Ihre Freunde jedoch spürten es.

Plötzlich wurde er energischer. Es tat ihr weh. Sie rief ihm zu: "Du tust mir weh! Ich liebe dich!" - viel zu leise als, daß er es hätte hören können.
Doch einzig ihre Freunde hörten den stummen Schrei.

Er brach sie ab - die perfekte Rose und ihr letzter stummer Schrei verhallte: "Ich liebe dich!" Und während sie starb bemerkte sie, daß sie für ihn nicht perfekt war, daß es mehr brauchte als Schönheit, um perfekt zu sein.